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Im Mai 2023 fand in Bremervörde der fünfte Farmwalk des Projekts "Verbesserung des Tierwohls bei Weidehaltung von Milchkühen" auf dem Betrieb der Familie Stelling statt. Der Milchviehbetrieb mit 170 Holstein Kühen, der auf überwiegend moorigen, teils sandigen Standorten wirtschaftet, befindet sich seit diesem Jahr in der Umstellung hin zur intensiven Umtriebsweide in Vollweide, mit saisonaler Abkalbung im Herbst. Der Betriebsleiter Heiko Stelling zeigte den Teilnehmenden die Vorteile dieses Systems und welche Herausforderungen in der Umstellungsphase zu bewerkstelligen sind. Anwesend waren Landwirte, aber auch einige Berater, was zu einem konstruktiven Austausch führte.
Eröffnet wurde die Veranstaltung mit der Frage nach der Motivation hinter der Entscheidung, einen für norddeutsche Verhältnisse eher unkonventionellen Weg einzuschlagen. Durch das Tierwohlprojekt habe er einige Milchbetriebe kennengelernt, auf denen Vollweide funktioniere, erklärte der Betriebsleiter. Die 48 ha arrondiere Grünlandfläche hinter dem Milchviehstall seien ideale Bedingungen, auf Weidehaltung umzustellen. Auf der anderen Straßenseite seien sogar noch weitere Flächen, die sich für die Beweidung eignen würden. Alles Futter, was die Kuh auf der Weide aufnimmt, muss weder gemäht, konserviert noch mit dem Futterwagen gefüttert werden. Im anstrebten Vollweidesystem wird in der Vegetationsperiode auf Zufütterung sogar komplett verzichtet, der Futtermischwagen hat dann Pause und der Betriebsleiter mehr Zeit. Das ist eine enorme Arbeitserleichterung und Kostenersparnis. Da die Kühe draußen sind, muss weniger Gülle aus dem Stall gefahren werden. Auch die Inhaltstoffe des Weideaufwuchses sind gut: Der Energiegehalt kann bei bis zu 7 MJ Nel liegen, ein Wert, den eine Grassilage nicht erreicht.
Praxisworkshop zur intensiven Umtriebsweide
Ein höherer Arbeitsaufwand ergibt sich durch das notwendige Weidemanagement. Wöchentlich misst er mit dem Rising Plate Meter die Aufwuchshöhe. Für seine 48 ha benötigt er 45 Minuten. "Man muss halt der richtige Typ dafür sein, sonst funktioniert es nicht", sagt Heiko Stelling, der lieber über die Weiden geht als auf dem Traktor zu sitzen.
Eine besondere Rolle im System Vollweide spielt die saisonale Abkalbung. Diese führt zu einer homogenen Herde mit Tieren, die zur selben Zeit denselben Bedarf haben. Eine Über- oder Unterfütterung einzelner Tiere wird so vermieden und damit das Tierwohl gesteigert. Auf dem Hof Stelling wurde sich aufgrund des hohen Leistungsniveaus der Herde von über 10.000 kg Milch pro Jahr und Tier für die Abkalbung im Herbst entschieden. So kann der hohe Nährstoffbedarf der Kühe nach der Abkalbung über den Winter mit TMR-Fütterung im Stall gedeckt werden. Im Frühjahr, wenn die Milchbleistung aufgrund der fortschreitenden Laktationsphase langsam nachlässt, deckt dann hochqualitatives Weidefutter den Bedarf der Tiere. Somit wird eine tiergerechte Fütterung über die gesamte Laktation hinweg gewährleistet. Wird Vollweide mit Frühjahrsabkalbung angestrebt, sind Tiere mit einer an die Vollweide angepasste Genetik und Leistung nötig, wie sie auf einem anderen Projektbetrieb, dem Borkshof der Familie Apelt, zu finden ist.
Die Herde von Heiko Stelling ist aktuell noch nicht komplett auf die saisonale Abkalbung umgestellt. Die Tiere sind nach Leistung in zwei Gruppen geteilt, wobei die hochleistende Gruppe eine Tageshälfte im Stall verbringt und dort TMR erhält. Die Weidereste sind hier entsprechend etwas höher als bei der Herde mit den niedrigleistenden Tieren ohne Zufütterung, die aktuell 24 kg pro Tier und Tag geben. Das Führen von zwei Gruppen bedeutet einen deutlichen Mehraufwand, den es in der Umstellungsphase zu beachten gibt.
Nach der Gesprächsrunde im Stall ging es hinaus auf die Weiden, die seit diesem Jahr als intensive Umtriebsweiden gemanagt werden. Einmal die Woche geht der Landwirt mit dem Rising Plate Meter über die Weiden. Das Gerät misst die Aufwuchshöhe und ist über eine App mit dem Handy verbunden. Dort ist eine Formel hinterlegt, die die Messung umrechnet in die Aufwuchsmenge pro Hektar. Diese Formel sei speziell für typische Weiden im nordwestdeutschen Raum ermittelt worden, erklärt Projektmitarbeiter Kilian Obermeyer (Universität Vechta/Göttingen). Mit dieser Information ist der Landwirt in der Lage, der Herde täglich eine bedarfsgerechte Menge an Weidefutter zuzuteilen. Projektleiterin Lisa Oehlert (Grünlandzentrum Niedersachsen/Bremen e.V.) betrachtet das Rising Plate Meter gerne als Pendant zur Waage am Futtermischwagen. Das Thema intensive Umtriebsweide wurde am darauffolgenden Tag in einem Praxisworkshop vertieft.
Sehr positiv fiel das Tränkesystem auf dem Betrieb auf. Die PE-Rohre sind oberirdisch verlegt und werden im Winter lediglich entleert, aber nicht eingerollt. Auch überfährt der Betriebsleiter diese mit dem Hoflader. Bisher hat es dadurch noch nie einen Schaden an den Rohren gegeben. Ein Landwirt gab zu bedenken, dass oberirdisch verlegte Rohre sich bei zu geringer Durchflussmenge (z.B. bei Kälbertränken) in der Sonne derart aufheizen können, dass das Wasser zu heiß zum Trinken wird. Beim Weideumtrieb wird die Tränke mit dem Radlader umgestellt. Dabei wird die Tränke geleert und gesäubert, was bei stationären Tränken oft vernachlässigt wird. Der Betriebsleiter überlegt, noch eine zweite Tränke anzuschaffen, da beobachtet wurde, dass Färsen, die neu in der Herde sind, vor der Tränke von anderen Tieren verdrängt werden. Bei der Begutachtung der Tränke kamen gleich ein paar neugierige Tiere herbei, denen die Teilnehmer eine gute und zufriedene Ausstrahlung attestierten. In Zukunft wird im Trinkwasser eine Mineralstofflösung eingespeist, um die Mineralstoffversorgung der Kühe aufzubessern – ein weiterer wichtiger Schritt in Richtung mehr Tierwohl auf der Weide.
Nach der Mittagspause wurde das Thema Genetik behandelt. Neu eingekreuzt werden die Rassen Jersey und British Friesian. Dadurch werden die Tiere etwas kleiner und durch ein etwas niedrigeres Leistungsniveau besser an die Vollweide angepasst. Diese Rassen sind außerdem frühreif, was ein Erstkalbealter von 24 Monaten begünstigt - eine wichtige Voraussetzung für Betriebe mit Blockabkalbung. Zudem ist eine Zwischenkalbezeit von 365 Tagen nötig. Hier wirkt sich das geringere Leistungsniveau der Einkreuzungen günstig aus, da die geringere Milchleistung das Trockenstellen zum richtigen Zeitpunkt ermöglicht. Kopfzerbrechen bereitet dem Betriebsleiter jedoch die Sorge, dass nach dem Heterosiseffekt in der ersten Kreuzungsgeneration die Milchleistung der folgenden Generationen zu stark abfällt. Das sei bei der Einkreuzung von fleischbetonten Rassen bereits beobachtet worden. Als eine unerwartete Schwierigkeit bei der Umstellung erwähnte der Betriebsleiter außerdem, dass es sehr schwer sei, “die Füße stillzuhalten und offensichtlich brünstige Kühe nicht zu besamen, um die Herbstabkalbung einzuhalten”.
Durch die offenen Gespräche und Diskussionen konnten wertvolle Erfahrung ausgetauscht werden. Aufgrund des als spärlich bewerteten Angebotes an Veranstaltungen, Fortbildungen und Beratung zum Thema professionelle Weidehaltung wurde der Austausch von allen Teilnehmern sehr begrüßt. Diejenigen, die aufgrund der Gegebenheiten ihres eigenen Betriebs aktuell wenig Spielraum zur Veränderung haben, schätzten zumindest die Bewusstmachung und Einordnung des eigenen Standpunktes.